Einsamkeit wächst in Deutschland

Hamburg

Es gibt heute deutlich mehr einsame Menschen in Deutschland als noch vor zwanzig Jahren. Dies ergab eine Studie, die das Marktforschungsinstitut Harris Interactive AG im Dezember 2014 in Kooperation mit Wahlverwandtschaften e.V. durchgeführt hat.

Wahlverwandtschaften e.V. organisiert regelmäßig Begegnungsveranstaltungen und bietet eine Vermittlungsplattform, um der wachsenden Vereinsamung in unserer Gesellschaft entgegenzuwirken.
In der Studie wurden 1.200 Personen zwischen 16 und 85 Jahren in Deutschland befragt. Die Ergebnisse hat Harris Interactive mit einer Studie von Döring/Bortz aus dem Jahr 1993 verglichen. Während sich damals 50 Prozent der Befragten überhaupt nicht einsam fühlten, liegt dieser Anteil heute nur noch bei 30 Prozent. Von Einsamkeit betroffen sind altersunabhängig eher Männer, Alleinlebende und Beschäftigungslose. Die Studie zeigt zudem, dass auch Kinder keine Versicherung gegen Einsamkeit sind. Zwar fühlen sich Alleinlebende einsamer als Personen in einer Beziehung, es macht dabei aber keinen Unterschied, ob Kinder im Haushalt leben oder nicht. Das Stadt- oder Landleben hat keinen signifikanten Einfluss auf das Einsamkeitserleben. Die häufigste Reaktion auf Einsamkeitsgefühle ist Fernsehen.
Einsamkeit ist weit verbreitet und hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen“, erläutert Frauke Mandera, Senior Research Consultant von Harris Interactive. „Die Studie zeigt, dass nicht nur Ältere betroffen sind. Auch gerade Jüngere, die sich tagsüber in die Arbeit stürzen und ihre Freizeit mit Computerspielen und Fernsehen verbringen, fühlen sich einsam.“
Anhand der geäußerten Intensität der Einsamkeitsgefühle lassen sich drei Abstufungen der Einsamkeit bilden. 20% der Befragten fühlen sich leicht, 23% mittel, 20% stark einsam. Die restlichen 37% fühlen sich gar nicht oder kaum einsam. Typische Vertreter der einsamsten 20% sind alleinlebende Männer jungen bis mittleren Alters, die häufig ohne Beschäftigung oder berufsunfähig sind. Als Gründe ihrer Einsamkeit geben sie Schüchternheit, Angst vor Ablehnung oder Verletzung, Kindheitstraumata und Antriebslosigkeit an. Als Bewältigungsstrategien nennen sie Fernsehen oder Lesen, Computerspiele spielen oder im Internet surfen, in die Arbeit stürzen und vergleichsweise häufig Psychologische Beratung.
Gerade die besonders einsamen Menschen nutzen häufig Strategien, die sie längerfristig nicht aus der Einsamkeit herausführen“, erläutert Dr. Christine Wichert, Vorstandsvorsitzende von Wahlverwandtschaften e.V. „Besser wäre es Menschen zu treffen. Wenn die fehlende Familie eine wichtige Ursache der Einsamkeit ist, kann unser Verein helfen. Bei uns werden Bekanntschaften geschlossen, die sich zu Freundschaften und in der Folge zu Wahlverwandtschaften entwickeln können.“
Betrachtet man die Befragten insgesamt wird die Hauptursache für die empfundene Einsamkeit überwiegend in der eigenen Zurückhaltung gesehen. Schüchternheit und Angst vor Ablehnung betrifft besonders Jüngere. Auch Männer sehen den Grund für ihre Einsamkeit stärker in der eigenen Zurückhaltung, während Frauen eher Angst vor Verletzung anführen. Auch der Verlust der Bezugsperson wird von Frauen häufiger angeführt. Ein weiterer häufig genannter Grund für die Einsamkeit ist berufliche Belastung. Sie steht jedoch nicht in Relation zu einer besonders starken Einsamkeit. Während Akademiker ihre Einsamkeit stärker mit einem weit verstreuten Freundeskreis begründen, werden von Nicht-Akademikern eher finanzielle Gründe und schlechtes Arbeitsklima genannt. Alleinerziehende führen ihre Einsamkeit häufig auf den Verlust des Partners und den damit einhergehenden Verlust weiterer Kontakte zurück.
Häufigste Reaktion auf das Gefühl der Einsamkeit ist Ablenkung durch Fernsehen, gefolgt von Musik hören und Lesen. Erst danach folgen Kontaktaufnahme mit Freunden, Bekannten und Familienmitgliedern, gefolgt von Aktionen wie Sport, Sparziergänge, Einkaufen und in die Arbeit stürzen. Organisierte Aktionen wie Vereinstätigkeiten (eher Männer), Ehrenämter oder über entsprechende Foren Gleichgesinnte treffen folgen danach, noch hinter Alkoholkonsum. Das Schlusslicht bilden andere Rausch- oder Beruhigungsmittel sowie Kneipenbesuche. Der Fernseher als Zuflucht wird unabhängig von Geschlecht, Alter und Berufstätigkeit genutzt. Akademiker und Alleinerziehende oder Familien mit Kindern nutzen den Fernseher weniger als andere Gruppen, doch auch für sie ist es die häufigste Bewältigungsstrategie. Musik hören ist eher eine Reaktion von Jüngeren und Kinderlosen. Lesen ist eher bei Älteren und Frauen verbreitet. Insgesamt nutzen Frauen ein deutlich breiteres Spektrum an Aktivitäten, um sich weniger einsam zu fühlen. Im Vergleich zu Männern greifen sie auch häufiger zum Telefon, besuchen Kurse oder gehen Einkaufen. Jüngere treffen sich eher mit Freunden, treiben Sport oder stürzen sich in die Arbeit.
Unter den 63% der Befragten, die sich leicht bis stark einsam fühlen, konnte Harris Interactive vier Gruppen identifizieren: Workaholics (37%), einsame Partner (37%), ältere Menschen (18%) und verunsicherte Menschen (8%). Diese Personengruppen wurden basierend auf den genannten Einsamkeitsgründen und Bewältigungsstrategien gebildet.
Bei der mit ‚Workaholics‘ bezeichneten Gruppe handelt es sich überwiegend um junge Menschen (33% unter 30) in Vollzeitbeschäftigung im städtischen Umfeld. Oft erleben sie sich selbst als verschlossen und haben einen weit verstreuten Freundeskreis. Die Ursachen für ihre Einsamkeit sehen die Workaholics in beruflichen und familiären Belastungen, einem schlechten Verhältnis zu ihren Kollegen und Ausgeschlossenheit bei der Arbeit. Deutlich häufiger als die anderen Gruppen reagieren sie auf ihre Einsamkeitsgefühle damit, dass sie sich in die Arbeit stürzen (40%). In den anderen Gruppen ist diese Antwort kaum vertreten.
Bei den in einer Partnerschaft lebenden Menschen treten die Einsamkeitsgefühle seltener auf als in den anderen Gruppen. Hier ist der Anteil der leicht einsamen Menschen besonders hoch. Sie haben meist Kinder und leben in Kleinstädten oder im ländlichen Raum. Ihre Bewältigungsstrategien sind Gleichgesinnte treffen, mit Freunden oder Verwandten telefonieren bzw. etwas unternehmen. Einzelaktivitäten wie Fernsehen oder Musik hören werden kaum unternommen. „Wir sehen, dass Einsamkeit nicht automatisch Alleinsein bedeutet“, so Mandera. „Sie ist ein Gefühl, das jeden betreffen kann. Selbst innerhalb der Partnerschaft, im Kreis der Familie oder mit Kollegen fühlen sich manche Menschen einsam.“

 

Zur Gruppe der verunsicherten Menschen gehören überwiegend Frauen (70%). Die Ursachen ihrer Einsamkeit sehen sie in Angst vor Ablehnung und Verletzung, Verunsicherung durch Kindheitstraumata sowie Zurückhaltung und Antriebslosigkeit. Deutlich häufiger als die anderen Gruppen nehmen sie psychologische Beratung in Anspruch (60%) oder nehmen leichte Beruhigungsmittel wie Baldrian (40%). Auch ihre häufigste Reaktion ist jedoch das Fernsehen (84%) gefolgt von Lesen (60%) und Musik (54%) hören. Häufiger als andere Gruppen gehen sie in Reaktion auf ihre Einsamkeitsgefühle einkaufen (49%).
Eine besonders einsame Gruppe bilden die älteren Menschen und Rentner, die verwitwet oder alleinstehend sind. Sie leben zumeist in der Stadt und haben einen weit verstreuten Freundes- und Familienkreis. Ursachen für ihre Einsamkeit sehen sie überwiegend im Verlust des Partners, eingeschränkter Mobilität sowie eingeschränkten finanziellen Möglichkeiten. Ihre Reaktion ist häufig Fernsehen (79%), Lesen (59%), Musik hören (56%) oder Spazieren gehen (44%).

 

Abdruck freigegeben – Belegexemplar erbeten

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